Die folgende Policy wurde für die Vollversammlung 2020 der Jüdischen Studierendenunion Deutschland eingereicht.
Präambel.
Die Selbstbezeichnungen jüdischer Vereine, Institutionen und Organisationen wandelte sich im Laufe der Geschichte mehrmals (z. B. mosaischen Glaubens, Israelitisch, deutsche Juden etc.). Dieser Prozess hing eng mit den Jüdinnen und Juden gewährten Rechten und deren Stellung in der deutschen Gesellschaft zusammen.
Im Hinblick dieser Dynamik sowie der Wandlung hin zu einer freiheitlichen und demokratischen deutschen Gesellschaft, soll die vorliegende Policy zu einer Diskussion über die Identität der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden anregen.
Im Hinblick dieser Dynamik sowie der Wandlung hin zu einer freiheitlichen und demokratischen deutschen Gesellschaft, soll die vorliegende Policy zu einer Diskussion über die Identität der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden anregen.
Policy.
Wir stellen fest, dass jüdisches Leben ein 1700 Jahre andauerndes Kontinuum in Deutschland darstellt.
Wir stellen fest, dass das NS-Unrechtsregime im Zuge der “Nürnberger Gesetze” die Reichsvertretung der Deutschen Juden in die Rechsvereinigung der Juden in Deutschland zwangsüberführte. Nach dem nationalsozialistischen Verständnis standen Jüdinnen und Juden außerhalb der "Volksgemeinschaft" und konnten deshalb keine Deutschen sein.
Wir stellen fest, dass die nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schoa gegründete Interessenvertretung jüdischer Gemeinden bewusst Zentralrat der Juden in Deutschland statt Zentralrat der Deutschen Juden genannt wurde.
Wir stellen fest, dass die Selbstverständlichkeit eines deutschen Judentums durch den Zivilisationsbruch der Schoa nachhaltig beeinträchtigt wurde. Des Weiteren werden bis heute deutsche Jüdinnen und Juden von einem Teil der Gesellschaft nur als „Mit-Bürger“ und dementsprechend nicht integraler Teil der Gesellschaft betrachtet.
Wir stellen fest, dass jüdisches Leben in Deutschland von der nicht-jüdischen Bevölkerungung häufig entweder als Relikt der Veragangenheit angesehen wird, oder im Kontext des Antisemitismus und Nahostkonflikts betrachtet wird. Dadurch entsteht eine verzerrte Sicht auf lebendiges deutsches Judentum, welches vielfältig und pluralistisch in seinen Lebensrealitäten ist.
Wir glauben, dass die unbeschreiblichen Gräueltaten des deutschen Nationalsozialisten bis zum heutigen Tag jüdisches Leben prägen, dieses aber nicht definieren. Die jüdische Identität basiert auf einer positiven Selbstidentifikation mit einem 3700 Jahre alten Kulturerbe.
Wir glauben, dass die große Mehrheit der jüngeren Generation deutscher Jüdinnen und Juden mit einem positiven und offenen Selbstverständnis sich in der Gesellschaft für soziale, gesellschaftliche und politische Belange einsetzt und nicht auf den sprichwörtlich gepackten Koffern sitzt. Diese Generation sieht sich als ein fester, aktiver sowie integraler Bestandteil der deutschen und europäischen Gesellschaft an.
Wir glauben, dass zu den Aufgaben der Jüdischen Studierendenunion Deutschland auch die Normalisierung jüdischer Bürgerinnen und Bürger als fester Bestandteil unserer Gesellschaft zählt. Dazu gehört insbesondere jüdisches Leben in allen Lebensbereichen präsenter zu gestalten.
Wir glauben, dass die Identität jedes Individuums im 21. Jahrhundert durch eine Vielzahl von Einflüssen geprägt ist und eine zutiefst persönliche Angelegenheit darstellt. Gleichzeitig ist jedoch die Zugehörigkeit jüdischen Lebens zur deutschen Gesellschaft der kollektive Ausdruck von Jüdinnen und Juden trotz des Holocaust in Deutschland zu leben, dorthin zu migrieren, ein aktives jüdisches Leben aufzubauen und ein Teil dieser Gesellschaft zu sein.
Wir fordern die JSUD auf durch Bildungsprogramme, Workshops und Seminare einen Raum für Dialog über die Identitätsfrage des deutschen Judentums zu schaffen. Hierbei soll ein breites Meinungsbild repräsentiert werden. Dies schließt ausdrücklich auch Meinungen und Ansichten ein, welche in Teilen oder im Ganzen konträr zu den in dieser Policy geäußerten Überzeugungen stehen.
Wir fordern die JSUD auf sich für die Umbenennung des Zentralrats der Juden in Deutschland K.d.ö.R. in den Zentralrat der deutschen Juden K.d.ö.R einzusetzen. Dies soll nicht nur dem Relikt der Ausgrenzung jüdischer Bürgerinnen und Bürger durch das NS-Unrechtsregime ein Ende setzen („Juden in Deutschland“ statt deutsche Juden), sondern auch die heutige Realität einer deutsch-jüdischen Selbstverständlichkeit verkörpern.
Wir stellen fest, dass das NS-Unrechtsregime im Zuge der “Nürnberger Gesetze” die Reichsvertretung der Deutschen Juden in die Rechsvereinigung der Juden in Deutschland zwangsüberführte. Nach dem nationalsozialistischen Verständnis standen Jüdinnen und Juden außerhalb der "Volksgemeinschaft" und konnten deshalb keine Deutschen sein.
Wir stellen fest, dass die nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schoa gegründete Interessenvertretung jüdischer Gemeinden bewusst Zentralrat der Juden in Deutschland statt Zentralrat der Deutschen Juden genannt wurde.
Wir stellen fest, dass die Selbstverständlichkeit eines deutschen Judentums durch den Zivilisationsbruch der Schoa nachhaltig beeinträchtigt wurde. Des Weiteren werden bis heute deutsche Jüdinnen und Juden von einem Teil der Gesellschaft nur als „Mit-Bürger“ und dementsprechend nicht integraler Teil der Gesellschaft betrachtet.
Wir stellen fest, dass jüdisches Leben in Deutschland von der nicht-jüdischen Bevölkerungung häufig entweder als Relikt der Veragangenheit angesehen wird, oder im Kontext des Antisemitismus und Nahostkonflikts betrachtet wird. Dadurch entsteht eine verzerrte Sicht auf lebendiges deutsches Judentum, welches vielfältig und pluralistisch in seinen Lebensrealitäten ist.
Wir glauben, dass die unbeschreiblichen Gräueltaten des deutschen Nationalsozialisten bis zum heutigen Tag jüdisches Leben prägen, dieses aber nicht definieren. Die jüdische Identität basiert auf einer positiven Selbstidentifikation mit einem 3700 Jahre alten Kulturerbe.
Wir glauben, dass die große Mehrheit der jüngeren Generation deutscher Jüdinnen und Juden mit einem positiven und offenen Selbstverständnis sich in der Gesellschaft für soziale, gesellschaftliche und politische Belange einsetzt und nicht auf den sprichwörtlich gepackten Koffern sitzt. Diese Generation sieht sich als ein fester, aktiver sowie integraler Bestandteil der deutschen und europäischen Gesellschaft an.
Wir glauben, dass zu den Aufgaben der Jüdischen Studierendenunion Deutschland auch die Normalisierung jüdischer Bürgerinnen und Bürger als fester Bestandteil unserer Gesellschaft zählt. Dazu gehört insbesondere jüdisches Leben in allen Lebensbereichen präsenter zu gestalten.
Wir glauben, dass die Identität jedes Individuums im 21. Jahrhundert durch eine Vielzahl von Einflüssen geprägt ist und eine zutiefst persönliche Angelegenheit darstellt. Gleichzeitig ist jedoch die Zugehörigkeit jüdischen Lebens zur deutschen Gesellschaft der kollektive Ausdruck von Jüdinnen und Juden trotz des Holocaust in Deutschland zu leben, dorthin zu migrieren, ein aktives jüdisches Leben aufzubauen und ein Teil dieser Gesellschaft zu sein.
Wir fordern die JSUD auf durch Bildungsprogramme, Workshops und Seminare einen Raum für Dialog über die Identitätsfrage des deutschen Judentums zu schaffen. Hierbei soll ein breites Meinungsbild repräsentiert werden. Dies schließt ausdrücklich auch Meinungen und Ansichten ein, welche in Teilen oder im Ganzen konträr zu den in dieser Policy geäußerten Überzeugungen stehen.
Wir fordern die JSUD auf sich für die Umbenennung des Zentralrats der Juden in Deutschland K.d.ö.R. in den Zentralrat der deutschen Juden K.d.ö.R einzusetzen. Dies soll nicht nur dem Relikt der Ausgrenzung jüdischer Bürgerinnen und Bürger durch das NS-Unrechtsregime ein Ende setzen („Juden in Deutschland“ statt deutsche Juden), sondern auch die heutige Realität einer deutsch-jüdischen Selbstverständlichkeit verkörpern.
Stimmen deutsch-jüdischer Aktivist:innen.
Michael Thaidigsmann, CC BY-SA 4.0
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"Die Frage nach jüdischer Identität in Deutschland ist heute nicht einfacher zu beantworten als vor dreißig, siebzig oder auch einhundert Jahren. Für die Einrichtungen jüdischen Lebens bleibt es die große Herausforderung, im Durcheinander der Zuschreibungen und Attribute und immer eingedenk der Geschichte ein Gefühl für das eigene Selbst zu behalten. Wenn das bedeutet, mittelfristig auch den Namen des Zentralrates als Dachverband für jüdisches Leben in unserem Land an veränderte gesellschaftliche Realitäten anzupassen, dann würde ich das begrüßen und unterstützen – sofern eine Mehrheit der Gemeinden diesen Schritt mitträgt. Wenn jüdische Menschen vor dem Adjektiv „deutsch“ nicht zurückschrecken und sich nicht länger nur als „Juden in Deutschland“ sehen, dann sollte sich diese Haltung auch in den Institutionen widerspiegeln, die sie repräsentieren."
Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland |
Jüdisches Leben ist eines der konstituierenden Elemente des neuen und demokratischen Deutschlands. Zu diskutieren, debattieren und ergründen, was unsere Identität als Jüdinnen und Juden innerhalb der Deutschen Gesellschaft ausmacht, ist jetzt wichtiger denn je.
Joel Crepu, Initiator und Präsident des Bundes jüdischer Studierender Baden e.V. |
"Für uns als aktive junge jüdische Generation ist es wertvoll unser jüdisch–deutsches Selbstverständnis zu ergründen und dabei vielleicht auch neu auszuhandeln. Die Debatte individuell und auch als Kollektiv zu führen, ohne Angst vor den Ergebnissen und ihren Auswirkungen zu haben, darauf kommt es aktuell an."
Dalia Grinfeld, ehemalige Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland |
"Meine Familie floh aus der Sowjetunion, geboren und aufgewachsen bin ich in München und identifiziere mich selbst als deutscher Jude. Primär Jude, danach Deutscher. Aber vor allem in heutigen Tagen bin ich es leid die Frage zu hören, was können „die Deutschen für die Juden“ tun? Diese Frage ist absurd, denn wir Juden gehören genauso zur deutschen Gesellschaft wie Christen und Muslime. Die angeregte Diskussion über unsere eigene Identität ist wichtig, denn es geht um die Frage ob wir uns selbst als gleichwertiger Teil der deutschen Gesellschaft sehen und gesehen werden möchten."
Michael Movchin, Präsident des Verbands Jüdischer Studenten in Bayern e.V. |
Identität greifbar zu machen ist schwierig, jedoch ist es wichtig festzuhalten, dass sie individuell, flexibel und offen ist. Es ist klar, dass unsere Identität unsere Zukunft bestimmt und unser Selbstverständnis bestimmt wie wir uns in unserer Zukunft positionieren. Deshalb ist es wichtig zur heutigen Zeit einen offenen Diskurs mit Einbezug unterschiedlicher Narrative anzuregen und sich auszutauschen.
Margaryta Paliy, Aktivistin |